Kunstturnen: 29. Universiade in Taiwan

( Text: Interview mit Nicola Graber durch Valentin Mbarga, Fotos: Angelo Brack )

 

 

Vergangenen August fand in Taiwan die 29. Universiade, die Weltsportspiele für Studierende, statt. Vom 19. bis 30. August kämpften Nationen aus aller Welt in Taipeh um Medaillen. Mit Nicola Graber und Jonas Munsch vertraten zwei Athleten aus dem NKL die Schweiz im Kunstturnen. Da sich Jonas Munsch im Vorfeld des Wettkampfes schwer verletzte, konnte er leider nicht turnen. Somit blieb lediglich Nicola Graber übrig, welcher jedoch einen tollen Wettkampf zeigte und den 27. Schlussrang von insgesamt 122 erreichte. In folgendem Interview berichtet Nicola über seine Erlebnisse.

 

Nicola, du durftest die Schweiz an der Universiade vertreten. Wie kam es zu deiner Teilnahme an diesem besonderen Wettkampf?

Obwohl man die Universiade bei uns in der Szene schon gekannt hat, gibt es noch einige wichtigere Events. Irgendwann hat eine Mail des Nati-Trainers die Runde gemacht, in der er gefragt hat, ob sich jemand eine Teilnahme vorstellen könnte. Teilnehmen dürfen nur Athleten mit einer abgeschlossenen Matura bzw. Studenten. Da ich vergangenes Jahr mit meinem Studium begonnen habe, kam ich daher in Frage. Obwohl sich für mich die Prioritäten mit dem Beginn meines Medizinstudiums vom Sport zur Ausbildung verschoben haben, hat mich die Universiade gereizt. Aus diesem Grund habe ich dann auch zugesagt, da es für mich irgendwie eine Art „letztes grosses Ding“ dargestellt hat. Im Vorfeld gab es zwei Qualifikationsrunden, welche ich positiv gestalten konnte und mir so schlussendlich die Qualifikation sicherte.


War die Teilnahme an der Universiade immer schon ein Ziel von dir?

Lange nicht. In meiner Laufbahn gab es andere Ziele, die mir wichtiger waren. Das Erreichen des Nationalkaders gehörte zum Beispiel dazu. Die Universiade wurde mir erst ab dem Moment richtig bewusst, als ich mit meinem Studium begonnen habe und dann die Nachricht vom Nationalcoach erhielt.

 

Wie war der Moment, als du realisiert hast, dass du nach Taipeh reisen darfst?

Natürlich war es ein tolles Gefühl. Auch oder vor allem mit dem Hintergedanken, dass es eines oder sogar das letzte grosse sportliche Ziel / Highlight für mich sein würde. Die Freude war daher schon enorm. Auf der anderen Seite habe ich auch versucht, das Erlebnis zu geniessen.

 

Die Reise nach Taiwan bedeutete für Nicola auch, sich mit einem Land auseinanderzusetzen, dass sich in einem politischen Konflikt mit der Volksrepublik China befindet. Obwohl die Insel Taiwan gerne die komplette Unabhängigkeit erlangen möchte, lautet die amtliche Bezeichnung Taiwans weiterhin „Republik China“.

 

Hast du gemerkt, dass es in Taiwan politische Probleme gibt?

Ja, das hat man gemerkt. So ziemlich bei jeder Lautsprecherdurchsage wurde „Welcome to Taiwan“ gesagt (Taiwan wird oft unter dem Kürzel ROC = Republic of China geführt), um stolz auf ihren eigenständigen Namen hinzuweisen. Ein Grossteil der Bevölkerung möchte unabhängig sein und setzt sich für ein unabhängiges Taiwan ein. Auch bei der Eröffnungsfeier haben einige kleinere Gruppen vor dem Stadion „Free Taiwan“ gerufen und Flaggen verteilt. Als wir hineinliefen, wurden wir angehalten, da es angeblich zu kleinen Zwischenfällen gekommen war. Effektive Gewissheit hatten wir allerdings nie, aber unwohl haben wir uns nicht gefühlt.

 

Wir sprechen hier von Eröffnungsfeiern und politischen Aufständen (wenn auch kleinen). Was geht einem in solchen Momenten durch den Kopf? Welche Emotionen hattest du dort in dir?

Obwohl einem die Grösse des Events irgendwie bewusst ist, realisiert man das Ganze erst vor Ort komplett. Das Dorf, die Summe der Athleten aber auch die Eröffnungs- und vor allem die Schlussfeier. Wenn 7000 Athleten in ein volles Stadion einlaufen, ist das schon sehr beeindruckend.

 

Wie war die Atmosphäre unter euch Sportlern?

Unter den Sportlern war es super! Für Viele war es das erste und letzte Mal, dass sie so etwas erleben durften. Dementsprechend war die Stimmung locker und gelöst. Man ist offen und geniesst die Momente miteinander. Viele machten gemeinsame Erinnerungsfotos oder tauschten Sachen aus.

 

Vor dem Wettkampf wurde das Abenteuer dann mit der schweren Verletzung von Jonas überschattet. Dabei zog er sich eine Schienbeinfraktur zu, was für ihn die vorzeitige Rückreise in die Schweiz bedeutete.

 

Wie war das für dich, als sich Jonas die Verletzung zuzog und die Heimreise antreten musste? Ihr hattet die Reise gemeinsam angetreten und im Sinne, bis zum Schluss der Universiade zu bleiben.

Das ist enorm blöd gelaufen. Da wir ja ursprünglich geplant hatten, bis zum Schluss der Universiade zu bleiben, gab es für einen Moment schon eine Phase der Ernüchterung. Letzten Endes flog er dann früher zurück in die Schweiz und ich blieb bis zum Schluss. Es war keine leichte Situation, da nach dem Unfall von Jonas lediglich zwei Tage bis zum Wettkampf blieben und die Konzentration irgendwie trotzdem hoch gehalten werden musste. Auf der anderen Seite versuchten wir trotz allem auch, das Beste daraus zu machen und unternahmen so gut es ging Ausflüge in die Stadt.

 

Wie hast du die Zeit ohne Jonas verbracht?

Nach dem Jonas in die Schweiz zurück flog, hatte ich zuerst noch die anderen Kunsturner um mich herum. Zudem wohnten wir mit der Schweizer Delegation alle am gleichen Ort. Nachdem klar war, dass Jonas früher gehen würde, habe ich dann angefangen herumzufragen, wer auch bis am Schluss bleiben würde. So hat sich dann von Tag zu Tag mehr eine Gruppe ergeben, mit welchen ich unterwegs war.

 

Wie war diese Erfahrung für dich, auf andere Leute zuzugehen und neue Bekanntschaften zu machen?

Grundsätzlich bin ich sonst nicht der Typ, der zwingend auf jemanden zugeht und einfach aus dem Nichts ein Gespräch startet. Andererseits musste ich in dieser Situation ja irgendwie klarkommen, da ich sonst alleine gewesen wäre. Die gute Stimmung unter allen Sportlern hat es mir aber sehr leicht gemacht, neue Leute zu finden. Das war sehr angenehm.
Dazwischen habe ich aber auch alleine Ausflüge unternommen oder mir die Stadt angeschaut.

 

Wie hast du die Stadt erlebt?

Enorm positiv! Die Menschen sind sehr hilfsbereit, freundlich und interessiert gewesen. Die Stadt gefiel mir ebenfalls sehr gut. Dazu kam, dass man auch ausserhalb des Athleten Dorfes gemerkt hat, dass die Universiade die Leute interessierte. Ich habe immer wieder Plakate, Fahnen oder sonstige Werbebanner angetroffen.

 

Was ist dir von Taipeh speziell in Erinnerung geblieben?

Der grosse Turm, das Wahrzeichen der Stadt, war beeindruckend. Dann gab es noch einen kleinen Hügel, den Elefantenberg, der mir sehr gefallen hat. Dort konnte man eine Treppe hochlaufen und einige Tempel bestaunen.

 

Sprechen wir über deinen Wettkampf. Wie hast du diesen erlebt? Warst du auffällig nervös oder gab es sonst irgendetwas, das sich im Vergleich zu einem normalen Wettkampf unterschied?

Als wir am ersten Tag ankamen, war es eine spezielle Situation für mich. Da ich noch nie etwas in dieser Grössenordnung erlebt hatte, waren die Halle und das Ambiente im Allgemeinen schon eindrücklich. Was meine Vorbereitung angeht, hatte ich allerdings eher das Gefühl, weniger nervös zu sein als sonst an einem normalen Wettkampf. Ich glaube ich habe einfach versucht, dass was um mich herum abgeht zu geniessen und weniger als Druck anzusehen. Selbst beim Einturnen vor dem Wettkampf war ich relativ gelassen. Ich habe mich einfach gut gefühlt und war vorbereitet. Erst als es dann an das erste Gerät ging, war die Nervosität hoch. Danach konnte ich diese dann relativ rasch ablegen und dementsprechend gut turnen.

 

Was ziehst du für Schlüsse aus dieser Wettkampferfahrung?

Einfach die Erfahrung generell, welche ich an diesem Event machen konnte. Ich hatte während dem Wettkampf nicht die grössten Erwartungen und habe mir darum auch keinen Druck gemacht. Das hat sich positiv auf meine Leistung ausgewirkt.

 

Welchen Eindruck hat die Konkurrenz bei dir hinterlassen?

Die Konkurrenz ist auf jeden Fall grösser als bei den üblichen Wettkämpfen, an welchen ich sonst teilnehme. Zudem kannten wir auf Grund der späten Veröffentlichung der Startliste viele Athleten gar nicht, weshalb es am Anfang noch schwer einzuschätzen war. Es gab aber Nationen, die mit der Nationalmannschaft gekommen sind. Ich würde die Konkurrenz nicht ganz auf ein EM- / WM-Niveau einschätzen, aber sicher höher als sämtliche Wettkämpfe, welche ich bisher bestritten habe.

 

Konntest du dich während deiner Zeit dort auch mit der Konkurrenz austauschen und messen?

In der Regel waren wir mit den fünf besten Mannschaften unterwegs, welche qualitativ schon vieles mitbrachten. Da konnte man sich das eine oder andere abschauen. Speziell mit den Ukrainern (unter anderem mit Oleg Verniaiev, Goldmedaillen-Gewinner an den olympischen Spielen von Rio de Janeiro) hatten wir viel zu tun, wobei wir einige Eindrücke gewinnen konnten, wie sie sich auf einen Wettkampf vorbereiten. Das war schon eindrücklich. Auf der anderen Seite war es manchmal auch ein wenig schwierig, sich ausschliesslich auf sich selbst zu konzentrieren. Rund um dich herum wird gross auf geturnt und gleichzeitig musst du dir selbst sagen, dass du dein Ding durchziehen sollst und konzentriert bleiben musst.

 

Hat dich die Universiade motiviert, weiterhin an dir zu arbeiten und trotz Studium weiter zu turnen?

Auf jeden Fall! Bei mir war die Ausgangssituation ein wenig kompliziert, da ich lange nicht genau gewusst habe, wie es mit dem Studium und dem damit verbundenen reduzierten Trainingspensum ausschaut. Nach allem was ich dort aber erleben durfte, könnte ich mir ein solches Erlebnis jedoch noch einmal vorstellen. Vor allem wenn man noch ein wenig jünger ist und Gas geben möchte, ist die Universiade ein Erlebnis, das definitiv motiviert.

 

Was ziehst du für ein Fazit aus deiner Erfahrung, die du an der Universiade machen durftest?

Obwohl mir die Grösse der Veranstaltung bewusst war, ist es im Nachhinein schwer zu erklären, wie genial es ist, einen solchen Anlass persönlich zu erleben. Natürlich habe ich gedacht, dass es cool und aufregend werden würde. Wenn du dann aber dort bist, ist es noch einmal ein ganz anderes Ding. Auch wenn es nur eine einmalige Sache gewesen sein sollte, hat es sich für mich von a bis z gelohnt! Ich kann das jedem nur empfehlen. Wenn du es dorthin schaffst, spielen die investierten Jahre keine Rolle mehr.

 

Download Interview_Universiade_2017_Graber.pdf (78 kB)

 

Einige Impressionen von Nicola Graber